04. Februar 2019
"Das ist doch 'gephotoshoppt'?!" - "Ja, und?"
Die digitale Bildbearbeitung begegnet uns mittlerweile überall und ist ein fester Bestandteil der modernen Fotografie geworden. In meiner Beobachtung wurde sie gerade in der Vergangenheit noch vielfach kritisiert und auch heute gibt es Stimmen, die sagen, dass sie die Realität verfälscht und man gar nicht gut fotografieren können müsse, wenn ein Bild anschließend mit einer Software bearbeitet wird. Doch es scheint mir, dass die Akzeptanz größer geworden ist, sodass sie zunehmend echte Wertschätzung erfährt.
Eines vorweg. Fotografien, egal ob bearbeitet oder nicht, verfälschen die Realität. Die Linsen in den Objektiven krümmen das Bild, je nach Brennweite geschieht dies auf unterschiedliche Weise. Weitwinkelobjektive mit einer Brennweite unterhalb von 50mm verzeichnen ein Bild indem sie es "aufblähen", das Zentrum des Bildes tritt also mehr heraus. Teleobjektive mit einer Brennweite über 50mm bewirken genau das Gegenteil, das Bildzentrum wird "gestreckt" und Objekte werden schmaler dargestellt. Nur bei einer Brennweite von 50mm bleiben die Proportionen erhalten. Für Portraitaufnahmen werden dennoch häufig Teleobjektive verwendet. Das liegt daran, dass wir als Betrachter solche Aufnahmen meistens als harmonischer empfinden, da wir selbst ein anderes Bild von uns im Kopf haben. Hinzu kommen Fokus, ISO, Blende und Belichtungszeit, die je nachdem, wie sie eingestellt werden, unterschiedliche Bilder erzeugen.
Im Entstehungsprozess meiner Bilder gehört die Bearbeitung mit Adobe Photoshop und Adobe Photoshop Lightroom dazu. Um bei der Bildbearbeitung möglichst flexibel zu sein, fotografiere ich im RAW-Format. Das bedeutet, die Bilder bleiben, anders als beim Fotografieren im JPG-Format, "roh" und werden unbearbeitet und unkomprimiert auf der Speicherkarte abgelegt, so wie sie vom Kamerasensor aufgezeichnet worden sind.
Ich persönlich finde, dass die Bildbearbeitung die fotografische Leistung nicht schmälert. Natürlich lassen sich "schlechte" Bilder retten, doch ebenso lassen sich gute Bilder optimieren und nicht alle Effekte lassen sich durch Kameraeinstellungen erreichen. Wie viel Nachbearbeitung und in welcher Form sie dem Ergebnis gut tut, ist selbstverständlich auch Geschmacksache. Ich versuche meine Bilder möglichst so zu bearbeiten, dass sie ihre Natürlichkeit nicht verlieren. Ich bringe durch die Bearbeitung häufig etwas mehr Kontrast in die Bilder, lasse bestimmte Farben intensiver erscheinen, entferne ein paar Hautunreinheiten oder beispielsweise eine störende Steckdose an der Wand. Auch, wenn mein eigener Bearbeitungsstil eher dezent ist, folge ich im Internet mit Begeisterung auch Fotografinnen und Fotografen, die ihre Bilder wesentlich deutlicher bearbeiten und dies als eine Ausdrucksform nutzen, um einen ganz eigenen Stil zu kreieren. Für bestimmte Bilder, ist die Bearbeitung sogar so essentiell, dass erst durch sie das eigentliche Bild entsteht, so zum Beispiel beim "Composing". Durch das Kombinieren verschiedener Bilder werden so neue, häufig surrealistische Bildwelten erschaffen. Egal, ob eher dezent oder stärker, die Bearbeitung mit Bildbearbeitungssoftwares benötigt häufig sogar mehr Zeit, als das Fotografieren selbst und kann sehr anspruchsvoll und aufwendig sein. Wie auch beim Fotografieren, helfen einem hier Kenntnisse über die technischen Möglichkeiten der Programme und die Erfahrung gibt einem ein Gefühl für ihren Einsatz und durch ihre Nutzung lernt man stetig dazu.
Es ist völlig normal, dass die Technik voranschreitet und durch den technischen Fortschritt entstehen neue Möglichkeiten. Wieso sollten diese Möglichkeiten nicht genutzt werden? Am Ende geht es doch darum, ein Bild zu erstellen, mit dessen Ergebnis man selbst zufrieden ist und wenn es im Auftrag entsteht, auch dem Kunden gefällt.
Die ersten modernen Menschen lernten Pigmente so für sich zu nutzen, dass die Höhlenmalerei entstand, später wurden neue Techniken entdeckt, wie zum Beispiel die Ölmalerei, heute haben wir moderne Farben wie Acryl zur Verfügung. Auch in der Malerei wurde und wird die Realität häufig idealisiert oder auf eine andere Art verfremdet. Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten Fotografien. Lange Zeit waren Fotos schwarzweiß, der Rollfilm wurde erfunden, die Farbe kam ins Spiel und und und ... . Und heute haben wir die digitale Fotografie, sowie die digitale Bildbearbeitung. Bildbearbeitung gibt es auch nicht erst seit der digitalen Fotografie. Mit bestimmten Geräten, Materialien und Chemikalien wurden und werden auch in der analogen Fotografie Fotos und Negative verändert.
Ich kann gut nachvollziehen, wenn sich jemand bewusst dafür entscheidet eine alte Fototechnik zu nutzen, da diese wiederum einen ganz eigenen Charme hat und ganz andere Möglichkeiten bietet. Genauso kann sich jemand aber auch für die digitale Fotografie und ihre Möglichkeiten entscheiden, um sich auszudrücken.
Wie oben beschrieben, ist die Bildbearbeitung für mich persönlich ein wichtiger Prozess in der Entstehung meiner Bilder. Erst nach der Bearbeitung sind die Bilder für mich wirklich fertig. Vorher sind sie wie eine noch nicht "fertig" bemalte Leinwand oder ein Essen, dem die Würze fehlt, es fehlt einfach der letzte Schliff. Wenn Ihr Euch für eine Fotografin / einen Fotografen entscheidet, dann ja auch deshalb, weil Euch die Bilder so gefallen, wie Ihr sie im Internet seht. Das ist auch der Grund, weshalb ich keine unbearbeiteten Bilder weitergebe.
Nebenbei bemerkt bin ich, bei aller Akzeptanz für starke Bildbearbeitung als künstlerisches Ausdrucksmittel, keine Freundin von Mode- und Starfotos, die Personen bis zur Unkenntlichkeit verändert zeigen. Diese Hochglanzwelt verändert das Selbstbild der Menschen. Es führt zu einem unechten und deshalb auch unerreichbaren Schönheitsideal und wenn wir uns an diesem orientieren, zu dem Gefühl in unserer Natürlichkeit nicht zu genügen.